Geistige Wörter

Die himmlische Tugend der Geduld

    • Foto: Oana Nechifor

      Foto: Oana Nechifor

Wenn Gott unser Herr und Vater ist, so laßt uns auch der Geduld unseres Herrn und zugleich unseres Vaters nachstreben; denn die Diener müssen gehorsam sein, und die Kinder dürfen sich ihrer Abkunft nicht unwürdig zeigen.

 

Wir aber, geliebteste Brüder, die wir Philosophen sind nicht in Worten, sondern in Taten, und die Weisheit nicht in der Kleidung an den Tag legen, sondern in der Wahrheit, die wir mehr das innere Bewußtsein der Tugenden kennen als die Prahlerei damit, wir, deren Größe nicht in ihren Reden beruht, sondern in „ihrem Leben, wir wollen als die Diener und Verehrer Gottes die Geduld, die wir durch himmlische Belehrung lernen, in geistlichem Gehorsam zeigen! Denn diese Tugend haben wir mit Gott gemeinsam. Bei ihm entspringt die Geduld, von ihm nimmt ihre Herrlichkeit und Würde ihren Anfang. Der Ursprung und die Größe der Geduld geht auf Gott als Urheber zurück. Etwas, was Gott teuer ist, muß auch der Mensch hochschätzen; ein Gut, das die göttliche Herrlichkeit liebt, ist damit auch von ihr empfohlen. Wenn Gott unser Herr und Vater ist, so laßt uns auch der Geduld unseres Herrn und zugleich unseres Vaters nachstreben; denn die Diener müssen gehorsam sein, und die Kinder dürfen sich ihrer Abkunft nicht unwürdig zeigen.

Welch große und erhabene Geduld aber zeigt Gott, indem er die von den Menschen zur Schändung seiner Herrlichkeit und Ehre errichteten heidnischen Tempel, ihre aus Erde geformten Bildwerke und ihre gottlosen Opfer mit der größten Geduld erträgt und dennoch über Gute und Böse in gleicher Weise Tag werden und das Licht der Sonne aufgehen läßt, und wenn er die Länder mit Regen tränkt, keinen von seinen Wohltaten ausschließt, sondern den Gerechten ebenso wie den Ungerechten ohne jeden Unterschied sein Naß spendet [Matth. 6, 45]! Wir sehen, wie mit unzertrennlicher, gleichmäßiger Geduld Schuldigen und Unschuldigen, Frommen und Gottlosen, Dankbaren und Undankbaren auf Gottes Wink die Jahreszeiten gefügig sind, die Elemente dienen, die Winde wehen, die Quellen strömen, wie die Fülle der Ernten gedeiht, der Ertrag der Weingärten heranreift, die Baumpflanzungen Obst in Fülle hervorbringen, wie die Wälder sich belauben und die Wiesen blühen. Und obwohl Gott durch häufige, ja durch fortwährende Kränkungen erbittert wird, beherrscht er dennoch seinen Unmut und wartet geduldig den einmal vorausbestimmten Tag der Vergeltung ab, und obgleich er die Rache in seiner Gewalt hat, will er doch lieber noch längere Zeit Geduld üben, indem er eben voll Milde (die Kränkungen) hinnimmt und (die Rache) hinausschiebt, damit womöglich die lange fortgesetzte Bosheit sich endlich doch noch ändere und der Mensch, nachdem er sich in dem befleckenden Schmutze des Irrtums und der Verbrechen gewälzt, wenn auch spät erst, sich zu Gott bekehre, der ja selbst mahnt und sagt: "Ich will nicht so sehr den Tod des Sterbenden als vielmehr, daß er sich bekehre und lebe" [Ezech. 18,32; 18, 23; 33, 11] (Und wiederum: "Kehret zurück zu mir, sagt der Herr" [Mal. 3, 7]). Und abermals: "Kehret zurück zu dem Herrn, eurem Gott; denn er ist barmherzig und gütig und geduldig und von großem Erbarmen, und er ändert sein Urteil gegenüber verhängten Heimsuchungen"[Joel 2, 13]. Indem dies auch der selige Apostel Paulus in Erinnerung bringt und den Sünder zur Buße ruft, äußert und sagt er: "Oder verachtest du etwa den Reichtum seiner Güte und seine Langmut und Geduld und weißt nicht, daß die Geduld und Güte Gottes dich zur Buße hinführt? Du aber nach deiner Härte und deinem unbußferligen Herzen häufest dir den Zorn am Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der vergelten wird einem jeden nach seinen Werken" [Rom. 2, 4-6]. Gerecht, sagte er, sei das Gericht Gottes, weil es spät erst kommt, weil es lange und weit hinausgeschoben wird, damit dem Menschen durch die langmütige Geduld Gottes zum Leben verholfen werde. Dann erst wird die Strafe an dem Gottlosen und Sünder vollzogen, wenn die Reue über die Sünde nichts mehr nützen kann.

Und damit wir noch gründlicher ersehen können, geliebteste Brüder, daß die Geduld etwas Göttliches ist und daß jeder, der sanftmütig, geduldig und milde ist, Gott den Vater nachahmt, so hat der Herr, als er in seinem Evangelium die Vorschriften für die Gewinnung des Heiles gab und durch die Erteilung göttlicher Mahnungen seine Jünger zur Vollkommenheit hinleitete, geäußert und gesagt: "Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: ,Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen!' Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr die Kinder eures Vaters seid, der im Himmel ist, der seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte! Denn wenn ihr nur diejenigen liebt, die euch lieben, was für einen Lohn werdet ihr da haben? Tun nicht auch die Zöllner so? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr da Besonderes? Tun nicht auch die Heiden dasselbe? Seid also ihr vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!" [Matth. 5, 43-48]. Nur so, sagte er, würden die Kinder Gottes vollkommen, nur so, zeigte und lehrte er, gelangten die durch die himmlische Geburt Erneuerten zur höchsten Vollendung, wenn die Geduld Gottes des Vaters in uns bleibe, wenn die Gottähnlichkeit, die Adam durch die Sünde verloren hatte, in unseren Handlungen sich offenbare und sichtbar werde. Welcher Ruhm ist es, Gott ähnlich zu werden, welch großes und erhabenes Glück, in den Tugenden etwas zu besitzen, was sich mit den göttlichen Vorzügen vergleichen läßt!

Und dies, geliebteste Brüder, hat unser Herr und Gott Jesus Christus nicht nur mit Worten gelehrt, sondern auch in seinen Taten erfüllt, und er, der gesagt hatte, er sei dazu herabgestiegen, um den Willen des Vaters zu tun, hat unter anderen wunderbaren Eigenschaften, durch die er deutliche Beweise seiner göttlichen Herrlichkeit gab, auch die Geduld des Vaters auf seinem ganzen Leidenswege bewahrt. Ja, sein ganzer Wandel trägt so überhaupt schon gleich von seiner Ankunft an das Gepräge der ihn begleitenden Geduld. Denn indem er erstens von seiner himmlischen Erhabenheit auf die Erde herniedersteigt, verschmäht er es nicht, als Sohn Gottes das Fleisch des Menschen anzunehmen, und obwohl er selbst kein Sünder war, die Sünden anderer zu tragen. Nachdem er für eine Weile die Unsterblichkeit abgelegt hat, bringt er es über sich, ein Sterblicher zu werden, um als Unschuldiger für das Heil der Schuldigen den Tod zu erleiden. Der Herr läßt sich taufen von dem Knechte, und er, der die Vergebung der Sünden dereinst verleihen wird, hält es nicht unter seiner Würde, durch das Bad der Wiedergeburt [Tit. 3, 5] seinen Körper zu reinigen. Vierzig Tage lang fastet er, von dessen Hand die anderen reichlich gespeist werden: er hungert und fühlt Verlangen nach Nahrung, damit alle, die nach dem Worte und der Gnade hungrig waren, mit himmlischem Brote gesättigt werden. Er kämpft mit dem Teufel, der ihn versucht, und damit zufrieden, einen so gewaltigen Feind besiegt zu haben, begnügt er sich mit bloßen Worten. Über seine Jünger übte er nicht wie über Knechte die Gewalt eines Herrn aus, sondern voll Güte und Milde brachte er ihnen brüderliche Liebe entgegen, ja er ließ sich sogar dazu herab, den Aposteln die Füße zu waschen, um durch sein Vorbild zu lehren, wie ein Mitknecht gegen seine Genossen und Gefährten sich betragen soll, indem er als Herr sich also gegen die Knechte benahm. Und es ist gar kein Wunder, daß er sich gegen die gehorsamen Jünger in solcher Weise verhielt, er, der es über sich vermochte, einen Judas bis zuletzt in langmütiger Geduld zu ertragen, mit dem Widersacher zusammen zu speisen, den Feind in seiner nächsten Umgebung zu wissen, ohne ihn öffentlich bloßzustellen, ja nicht einmal den Kuß des Verräters zurückzuweisen. Was aber gar erst seine Geduld mit den Juden betrifft: welch großer Gleichmut, welch große Nachsicht gehörte dazu, die Ungläubigen durch Zureden für den Glauben zu gewinnen, den Undankbaren freundlich entgegenzukommen, den Widersprechenden sanftmütig zu erwidern, die Hochmütigen voll Milde zu ertragen, den Verfolgern in Demut sich zu fügen und bis zur Stunde des Kreuzes und Leidens bestrebt zu sein, die Mörder der Propheten [Luk. 13, 3] und die steten Empörer gegen Gott um sich zu sammeln!

In der Zeit des Leidens und des Kreuzes selbst aber, bevor es noch zum grausamen Tode und zum Blutvergießen kam, welch schimpfliche Schmähungen hörte er da geduldig an, welch kränkende Hohnreden ließ er sich da gefallen, so daß der Speichel der höhnenden Rotte ihn traf, der mit seinem Speichel kurz vorher die Augen der Blinden geöffnet hatte, und er, in dessen Namen jetzt von seinen Dienern der Teufel samt seinen Engeln [Matth. 25, 41] gegeißelt wird, selbst Geißelhiebe erduldete, daß er mit Dornen gekrönt wurde, der die Märtyrer mit unverwelklichen Blumen bekränzt, daß man ihn mit der Hand ins Antlitz schlug, der die wahre Palme den Siegern reicht, daß er der irdischen Kleider beraubt wurde, der die anderen mit dem Gewande der Unsterblichkeit kleidet, daß man ihn mit Galle speiste, der die himmlische Speise darbot, daß man ihn mit Essig tränkte, der den Kelch des Heils kredenzte! Er, der Unschuldige, er, der Gerechte, ja vielmehr die Unschuld und die Gerechtigkeit selber, wird unter die Missetäter gezählt [Luk. 22, 87], und durch falsche Zeugnisse wird die Wahrheit unterdrückt, gerichtet wird er, der selbst dereinst richten wird, und das Wort Gottes läßt sich schweigend zum Kreuze führen. Und während bei der Kreuzigung des Herrn die Gestirne aus ihrer Ordnung kommen und die Elemente in Aufruhr geraten, während die Erde erbebt, die Nacht den Tag verdrängt und die Sonne ihre Strahlen und Augen abwendet, um nicht den Frevel der Juden schauen zu müssen, spricht er kein Wort und rührt sich nicht und gibt seine Herrlichkeit nicht einmal inmitten des Leidens zu erkennen. Bis zum Ende erträgt er alles beharrlich und beständig, damit die Geduld in ihrer ganzen Vollkommenheit sich in Christus vollende.

Und nach dem allem nimmt er sogar noch seine Mörder in Gnaden an, wenn sie sich bekehren und zu ihm kommen, und, in heilbringender Geduld voll Güte auf ihre Rettung bedacht, verschließt er seine Kirche für keinen. Jene Widersacher, jene Lästerer, jene beständigen Feinde seines Namens läßt er nicht nur zur Vergebung ihrer Schuld, sondern sogar zum Lohne des himmlischen Reiches gelangen, wenn sie nur über ihr Vergehen Reue zeigen, wenn sie nur den begangenen Frevel erkennen. Was läßt sich Geduldigeres, was läßt sich Gütigeres anführen? Zum Leben wird durch Christi Blut sogar der erweckt, der Christi Blut vergossen hat! So groß und so erhaben ist die Geduld Christi; denn wäre sie nicht so groß und erhaben, so hätte die Kirche auch keinen Apostel Paulus aufzuweisen.

Wenn nun aber auch wir, geliebteste Brüder, in Christus sind [2. Kor. 5. 17], wenn wir ihn angezogen haben [Gal. 3, 27], wenn er der Weg unseres Heiles ist, so laßt uns, die wir Christus auf den Spuren des Heils nachfolgen, nach dem Vorbild Christi wandeln, wie der Apostel Johannes lehrt mit den Worten: "Wer sagt, er bleibe in Christus, der muß auch selbst wandeln, wie er gewandelt ist!" [1 Joh. 2, 6]. Auch Petrus, auf den nach dem gnädigen Willen des Herrn die Kirche gegründet ist, äußert in seinem Briefe und sagt: "Christus hat gelitten für euch, indem er euch ein Vorbild hinterließ, damit ihr seinen Fußtapfen folgt: er, der keine Sünde beging und in dessen Mund kein Trug gefunden wurde, der, als er geschmäht wurde, nicht wieder schmähte, als er litt, nicht drohte, sondern sich dem übergab, der ungerecht richtete" [1 Petr. 2, 21 ff.]. 

https://www.unifr.ch/bkv/